Die Evolution der Bibliotheken – Vom Wissensspeicher zum sozialen Knotenpunkt

Die Evolution der Bibliotheken – Vom Wissensspeicher zum sozialen Knotenpunkt

Im Interview mit Kjetil Trædal Thorsen, Mitbegründer des renommierten Architektur- und Designbüros Snøhetta, werfen wir einen Blick auf die transformative Kraft moderner Bibliotheken. Von der imposanten City Library in Peking, die als „Leselandschaft“ konzipiert wurde, bis hin zur James B. Hunt Jr. Library, die technologische Innovation und menschliche Begegnung harmonisch verbindet, zeigt Snøhetta, wie Architektur nicht nur Funktion erfüllt, sondern auch Gemeinschaft schafft.

Dieser Blogpost beleuchtet, wie sich Bibliotheken als „Kathedralen des Geistes“ stetig neu erfinden und welche Rolle sie in der heutigen, flexiblen Arbeits- und Lebenswelt spielen.

„Dritte Orte“: Warum öffentliche Räume immer attraktiver werden

„Dritte Orte“ gewinnen heute als alternative Arbeitsorte immer mehr an Bedeutung. Was macht deiner Meinung nach die Arbeit im öffentlichen Raum so attraktiv?

In der Geschichte waren „Dritte Orte“, namentlich das Kaffeehaus, ja schon attraktive Arbeitsorte, etwa für Kaffeehausliteraten, Journalisten und Philosophen.

Heute können viel mehr Menschen flexibler agieren, da einerseits die Arbeitswelt flexibler geworden ist und andererseits die technischen Voraussetzungen das Remote-Arbeiten ermöglichen. Da ist es durchaus attraktiv, sich zur Abwechslung einen „neuen“ Arbeitsort auf Zeit zu suchen.

Die Evolution der Bibliotheken: Mehr als nur Wissensspeicher

Ihr habt als Architekturbüro bereits zahlreiche „Dritte Orte“ wie beispielsweise Bibliotheken umgesetzt. Früher wurden Bibliotheken hauptsächlich zum Ausleihen von Büchern, zum Lernen und zum Lesen genutzt. Heute sind sie auch Orte zum Arbeiten, Netzwerken und zur sozialen Interaktion. Wie nimmst du die Evolution der Bibliotheken wahr?

Neben der Speicherung von Wissen waren Bibliotheken immer auch Orte des Austauschs von Wissen, des Gesprächs, der Diskussion – also Orte der Begegnung. Als Orte der Begegnung müssen sie für Besucher attraktiv sein und ihnen mehr bieten, als ein Buch ausleihen oder eine Zeitung lesen zu können. Mit unseren Gebäuden schaffen wir immer einen Mehrwert – Orte, an denen sich Menschen wohlfühlen können, die sie erobern und „besitzen“ können. Auch um Orte der Begegnung und des Austauschs in Städten zu stärken.

City Library in Peking: Eine Leselandschaft für die Zukunft

Ihr habt unter anderem die größte Bibliothek der Welt – die City Library in Peking – entworfen. Wie plant man so ein außergewöhnliches Projekt, das so viele verschiedene Bedürfnisse erfüllen muss?

Grundsätzlich nähern wir uns allen Projekten, ob scheinbar einfachen oder sehr komplexen Bauaufgaben, auf ähnliche Weise: mit einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Ort und dem Kontext. In einem interdisziplinären Prozess entsteht ein tragfähiges, starkes Konzept als Basis für den Entwurf. Es geht darum, den Kern der Aufgabe und deren Komplexität zu verstehen, dann können wir Aspekte dieser tiefgehenden kontextuellen Betrachtung in ein Konzept „gießen“. Bei der City Library in Peking haben wir, abgeleitet von der Umgebung, eine Leselandschaft entwickelt.

Die City Library in Peking ist ein modernes Zentrum für Lernen, Wissensaustausch, soziale Interaktion und gesellschaftliches Engagement. Wie habt ihr diese unterschiedlichen Anforderungen architektonisch umgesetzt?

Wichtig war uns, den Nutzern einen großzügigen Raum zu bieten. Die sanft geformte Indoor-Landschaft, beschattet von einem „Ginkgo-Hain“, bildet eine großzügige Leselandschaft, die durch die Bodenmodellierungen einerseits unterschiedliche Teilbereiche wie Rückzugsräume oder Gesprächsinseln schafft, andererseits auch alle anderen Anforderungen wie Konferenzräume oder ruhigere Lesebereiche integriert. Die rund 20 m hohe Glasfassade bietet Transparenz und stellt eine Verbindung zur Umgebung her.

Far Rockaway Library in Queens: Ein Stadtteilzentrum als Ort der Identifikation

Ihr habt auch die Stadtteilbücherei Far Rockaway in Queens (NYC) geplant. Wie habt ihr es geschafft, dass die Nachbarschaft die Bücherei als Ort zum Arbeiten und Netzwerken nutzt?

Die Stadtteilbücherei war bereits seit 1968 ein wichtiger Ort für den Stadtteil in Queens – ob als Nachbarschaftszentrum im Alltag oder als Zentrum für Katastrophenhilfe nach dem Hurrikan Sandy 2012.

Das neue Bibliotheksgebäude mit seiner markanten Fassade soll nun die Rolle als Stadtteilzentrum und Ort der Identifikation noch stärken. Neben Räumen, die als Treffpunkt dienen, bietet die nun doppelt so große Bibliothek auch weitere Einrichtungen, die die Anwohner in ihrem Alltag unterstützen.

James B. Hunt Jr. Library: Technologie trifft Gemeinschaft

Im Vergleich zur Far Rockaway Library ist die James B. Hunt Jr. Library ein sehr technologieorientierter Ort. War es herausfordernd, technologisch hochentwickelte Räume für kollaboratives Lernen zu planen? 

Wie gesagt, Kontext und die künftigen Nutzer sind für uns bei jedem Projekt extrem wichtig. Man könnte also sagen, die Herausforderung, technologisch hochentwickelte Lernräume zu planen, ist genauso groß wie ansprechende Räume als Treffpunkt in einem diversen Stadtteil zu schaffen. Wichtig ist jedenfalls ein starkes Konzept für das gesamte Gebäude.

Wie habt ihr sichergestellt, dass die Menschen trotz der technologiegestützten Umgebung gerne zum Lernen, Arbeiten und Netzwerken in die James B. Hunt Jr. Library kommen? 

Indem wir auch großzügige Wohlfühlorte geschaffen haben.

Die Evolution der Bibliotheken spiegelt die sich wandelnden Bedürfnisse unserer Gesellschaft wider. Sie sind längst nicht mehr nur Speicherorte für Wissen, sondern vielmehr lebendige Zentren, die Lernen, Arbeiten und soziale Interaktion nahtlos verbinden. Projekte wie die City Library in Peking oder die Far Rockaway Library in New York zeigen eindrucksvoll, wie durchdachte Architektur dazu beiträgt, Begegnungen zu fördern und Gemeinschaft zu stärken. 

Das Interview mit Kjetil Trædal Thorsen im Rahmen des Sedus LOOKBOOK illustriert, wie innovative Raumkonzepte die Vision moderner Bibliotheken verwirklichen. Sie sind Orte, an denen Menschen Inspiration finden, zusammenkommen und sich austauschen – ein Beweis dafür, dass der „Dritte Ort“ eine entscheidende Rolle in unserer flexiblen Arbeits- und Lebenswelt spielt.

In einer Zeit, in der Technologie und soziale Dynamik sich rasant weiterentwickeln, bleibt eines klar: Bibliotheken sind und bleiben „Kathedralen des Geistes“, die uns daran erinnern, wie wichtig Gemeinschaft, Wissen und kreative Entfaltung für eine zukunftsorientierte Gesellschaft sind.

Dieser Artikel basiert auf einem Interview, das Bernadette Trepte für das Sedus LOOKBOOK mit dem norwegischen transdisziplinären Architektur- und Designbüro Snøhetta geführt hat.

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